Gullydeckel als Bild für Kultur

Die Gullydeckel im Bild sind mir eine Metapher für die Eingänge zu dem, das sowohl basal als auch unausgesprochen die Grundlage für selbstverständliches menschliches Leben in der Gemeinschaft ist.
Gullydeckel im Besonderen beziehungsweise Eingänge zur Kanalisation sind diejenigen Straßenabdeckungen und -markierungspunkte, die die Metapher, die hier gemeint ist, am deutlichsten machen: Sie sind die Eingänge zum Darunterliegenden, zu dem, was unter unseren Füßen sich befindet, dies im Besonderen im urbanen Leben, wo die Dichte jener Deckel und Verwandtem am größten ist.
Täglich laufen wir über eine Unzahl solcher Deckel und Punkte, von der Mehrzahl dieser Gegenstände und Öffnungen ist uns die Bedeutung – ihre Funktion – nicht bekannt, selbst wenn wir sie wahrnehmen, es sei denn, es steht dran, was sie sind, etwa „Vermessungspunkt“, „Hydrant“.
Dann wissen wir also, welche Funktion sie haben, aber auch dann fragen wir uns meist nicht, wie die Umsetzung der Funktion genau aussieht (wer außer der Vermessungsingenieurin weiß schon, wie das genau funktioniert, eine Vermessung vorzunehmen? Wer außer dem Feuerwehrmann hat schon einmal einen Hydranten benutzt? Vom Gang durch die Kanalisation ganz zu schweigen).
Es sind also die ubiquitären Zugänge zu den Welten, die als Selbstverständlichkeiten zum einen nicht wahrgenommen werden im täglichen Leben (außer von den jeweiligen ExpertInnen), zum anderen notwendig und nützlich sind für menschliches Leben, so, wie es in der sogenannten westlichen Zivilisation sich gestaltet.
Diese Straßenabdeckungen und Punkte, die entweder Zugang zu etwas sind oder Ausgangspunkt für Messungen oder Öffnungen, um etwas zu entnehmen oder etwas einzufügen (etwa Pfähle oder Masten), sollen als Metapher für das gelten, was die Philosophie, Soziologie oder Politologie zu klären versuchen, die Universalfragen menschlicher Gemeinschaft nämlich.

Zum anderen sind sie meist erstaunlich hübsch gestaltet, wenn man genauer hinsieht, was, wie gesagt, meistens nicht geschieht. Eine ästhetische Komponente ist also da.
Und auch die Abbildung dieser Gullydeckel etc., der Versuch also, die Gullydeckel-Ästhetik einzufangen und zu zeigen, enthält diese Komponente – die Bilder vereinen etwas Geistiges mit etwas Sinnlichem (sie können als fürchterlich intellektuell oder banal dekorativ gesehen werden), sollen auf etwas hin- also über sich hinausweisen. Ein Changieren zwischen dem metaphorischen und dem sensuellen Gehalt ist dabei möglich; Ambiguität liegt darin.

Des Weiteren sind die Gullydeckel &c. als Metapher für Historizität geeignet. Gerade in ihrer weitgehenden Unbeachtetheit ist es ihnen nämlich vergönnt, länger auszuharren als viele Gegenstände, die rein zur Zierde im öffentlichen Raum angebracht werden, oder die zwar eine Funktion haben, aber augenfälliger positioniert sind. So findet man sehr alte Straßenabdeckungen unweit ganz neuen; es hat den Anschein, als würden sie nur ausgetauscht, wenn sie entweder kaputt sind oder keine Funktion mehr zu erfüllen haben oder aber, wenn die Umgebung ganz neu gemacht wird, wie etwa bei der Straßenerneuerung. Das heißt, sie werden nicht aus ästhetischen Gründen von neueren abgelöst, sondern ausschließlich aus funktionalen.
Dabei muss die Erneuerung einer gesamten Straße noch nicht einmal unbedingt ein Grund sein, diese Deckel ebenfalls auszuwechseln, wie unschwer daran gesehen werden kann, dass etliche dieser Dinger am Rand halb einasphaltiert sind.

Die Geschichtlichkeit zeigt sich auch darin, dass viele dieser Gegenstände auch in anderer Weise durch die Zeit Veränderungen erfahren haben, für die niemand einzeln verantwortlich ist, schon gar nicht durch bewusstes Eingreifen (es sei denn im Fall von Vandalismus, gemeint ist hier aber die planvolle, zweckgerichtete Modifizierung). So können sie abgenutzt sein, teilweise abgeschliffen durch darüber gehende Füße oder darüber fahrende Autos, sie können verrostet sein, sogenannte Umwelteinflüsse haben da gewirkt; während in der Umgebung gebaut wird, sind sie oft halb eingegraben, unter Sand oder Kies verschwunden, in und bei länger vernachlässigten Straßenabdeckungen wachsen oft Pflanzen, und schließlich ist angesammelter Müll eine zwar ephemere, aber häufige Veränderung der Gestalt dieser mysteriösen Alltagsfunktionsgegenstände.

All diese Aspekte zusammengenommen machen die Gullydeckel und ihre Verwandten zu einem Bild für Kultur überhaupt.